Buchrezension „Abschied für Anfänger“ von Anne Tyler

Buchrezension „Abschied für Anfänger“ von Anne Tyler
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Buchrezension „Abschied für Anfänger“ von Anne Tyler

Dieses Buch beschäftigt sich mit der Trauer und dem Abschiednehmen, ist aber kein Sachbuch, sondern behandelt das Thema in Romanform. Geschrieben wurde er von Anne Tyler, die aus Minnesota stammt und mit ihrem Roman „Atemübungen“ im Jahr 1989 schon den Pulitzerpreis errungen hat.
Der Protagonist ist Aaron, ein Verlagslektor Anfang dreißig, der eine Buchreihe mit Themen „xxx für Beginner“ betreut – darauf nimmt der Titel des Romans Bezug. Aaron hat in seiner Kindheit durch eine Krankheit ein verkrüppeltes Bein und einen geschwächten Arm bekommen, zudem stottert er manchmal leicht. Seine Umwelt hat ihn darauf hin sehr bemuttert, und er hat sich diesen Versuchen entzogen und sich in eine - auch emotionale Distanz – zurück gezogen. Hilfe annehmen und Emotionen zeigen sind nicht seine Stärken.

Handlungsablauf

Das Buch beginnt, nachdem Aaron seine Frau Dorothy durch einen Unfall verloren hat – auf ihr Haus war ein großer Baum gefallen, und durch diesen Unfall wurde Dorothy schwer verletzt und starb kurz darauf. Die erste Szene schildert eine Begegnung Aarons mit einem seiner Nachbarn, während er mit seiner verstorbenen Frau Dorothy spazieren geht – diese hatte nach ein paar Monaten begonnen, immer wieder einmal auf zu tauchen.
In Rückblenden erzählt die Autorin den Beginn der Ehe zwischen dem Eigenbrötler Aaron und der etwas sperrigen Dorothy. Diese ist acht Jahre älter als Aaron, Ärztin und eine der wenigen Personen, die ihn nicht sofort bemuttern will – das übt auf Aaron sicher einen starken Reiz aus. Die Anfänge der Beziehung sind ein wenig holperig, aber das Paar findet dann doch relativ schnell zusammen.
Aus den Rückblenden lernt man nach und nach, dass Aaron auch in seiner Ehe etwas egozentrisch seine Distanziertheit aufrecht erhalten hat und Dorothys emotionale Angebote immer wieder einmal zurück weist. Zum Beispiel schlägt Dorothy, die sich sonst eher burschikos kleidet, für die Hochzeit das übliche Kleid in Weiß vor, was er aber abschätzig und ein wenig kränkend abtut, woraufhin sie sich innerlich wieder zurück zieht.
Nach Dorothys Tod zieht sich Aaron ganz in sich zurück und lehnt wieder einmal Hilfe und Unterstützung ab; selbst das von den Nachbarn zubereitete Essen kippt er einfach weg. Nach dem ersten Schock muss er sich mit seiner Sehnsucht nach Dorothy auseinander setzen und dem Schmerz, den er kaum zu ertragen glaubt. Der Abschied von ihr fällt ihm sichtlich schwer, und er kann sich nicht vor stellen, jemals darüber hinweg zu kommen.
Monate nach ihrem Tod sieht er Dorothy das erste Mal, für ein paar Sekunden steht sie auf der Straße und blickt ihn einfach nur an. Die Erfahrung ist für ihn dabei sehr real, er kann sie riechen und ihre Wärme spüren. Nach und nach erscheint sie ihm immer öfter, und sie beginnen auch, miteinander zu sprechen. In diesen Gesprächen werden die Defizite, Versäumnisse und Missverständnisse, die in der Ehe durchaus vorhanden waren und die Aaron zu Beginn nicht erkannt oder verdrängt hatte, nach und nach klar, und er beginnt, sich selbst den Spiegel vor zu halten.

Trauer als Weg zu sich selbst

Anne Tyler schreibt in einer leisen, gleichzeitig aber auch humorvollen Sprache, die aber immer eine gewisse Distanz zum Protagonisten aufrecht erhält. Mit diesem wird man daher nicht richtig warm, sondern den man beobachtet ihn eher von außen, obwohl der Roman in der Ich-Form geschrieben ist. Hierin kann man aber durchaus eine Meisterleistung der Autorin sehen, kennzeichnet es Aaron doch aus, dass er zu allen Menschen Distanz wahrt, so auch zum Leser. Daher werden zwar die Handlungen und Erinnerungen des Protagonisten beschrieben, auch einige Gedanken tauchen auf, aber seine Emotionen werden eher kühl gezeichnet und sind für den Leser nicht sehr intensiv spürbar.
Daher beschreibt das Buch die Trauer und den Schmerz des Abschiednehmens auch eher als einen Weg auf der Suche nach sich selbst, weniger als den Umgang mit den verschiedenen schmerzlichen Gefühlen, die man während der Verarbeitung der Trauer durchläuft. Denn in den Begegnungen mit Dorothy und den imaginären Gesprächen mit ihr (dass sie imaginär sind, erscheint zum Schluss auch dem Protagonisten so, obwohl sie für ihn immer sehr real waren) erkennt er nach und nach, dass sie ihn wahrhaft geliebt und er diese Liebe durch seine Distanziertheit immer wieder ein Stück weit zurück gewiesen hat. Und nachdem er diese Erkenntnis gewonnen hat, taucht Dorothy nicht mehr auf – der Abschied ist vollzogen, die Dinge sind geklärt, Erkenntnisse gewonnen, was in dem tröstlichen Schluss des Buches zum Ausdruck kommt.
Das Thema des Buches ist also eher die Chance, die im Verlust eines Menschen liegen kann – Aaron gewinnt wichtige Erkenntnisse über sich und lernt, diese innere Distanz, die er zu den Menschen hatte (auch zu seiner Frau) aufzugeben. Die zentrale Botschaft lautet, sich im Leben auf seine Mitmenschen aufmerksam und mit vollem Herzen einzulassen, damit man nach deren Tod nicht unter dem Gefühl des Versäumnisses leiden muss. Insofern ist das Buch trotz des eigentlich traurigen Themas dennoch eines, welches durch den leisen Humor und die positive Entwicklung des Protagonisten gar nicht depressiv, sondern aufmunternd wirkt.
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